Kinder trösten: Das tut doch gar nicht weh!?
Nana rennt los, und ich ahne schon, dass sie die Kante des Blumenbeetes übersehen wird, da ist es schon passiert. Sie fällt. Oh, dann weint sie. Ich helfe ihr auf und frage, ob sie sich doll weh getan hat. Sie nickt, zeigt auf den Boden, danach auf ihre Knie. Wir trösten. Wir pusten. Wir pusten beide Knie und auch die Hände, die sie mir ausstreckt. ›Ist es besser?‹ Nana nickt, aber sie will auf meinen Arm. Ich trage sie und nach ein paar Metern ist der Sturz überwunden. Nana will wieder alleine weiterlaufen.
Wer Läuft, der Fällt: Alles halb so schlimm?
Hinfallen gehört zum Laufen(lernen) dazu.
Aufstehen, Weitermachen und Passiertem nicht länger als nötig Nachtrauern, das sind Eigenschaften, die nicht nur zum Laufen Lernen, sondern auch für das Leben wichtig sind. Auch wenn Schmerzen (physisch und psychisch) eine unschöne Erfahrung sind, sind sie etwas, von dem wir wissen, dass wir sie ertragen und danach weitermachen können. Resilienz ist da ein Stichwort. Wir sind aber auch Erwachsen.
Es passiert nicht selten, dass wir mit unsere erwachsenen Perspektive, die wir auf eine Situation natürlicherweise haben, den Blickwinkel unserer Kinder übersehen. Wir glauben, etwas Gutes und Wichtiges zu tun oder zu sagen, ohne zu bedenken, wie die Kinder das sehen und hören.
Neben anerzogenen Mustern spielt das oben genannte Wissen, die Erfahrung, dass Schmerz zum Leben dazugehört und überwindbar ist, eine große Rolle, wenn Eltern dem hingefallenen Kind ein ›Nicht schlimm, DAS tut doch gar nicht weh‹ gut gemeint zurufen. Wir gehen davon aus, weil wir selber es so einschätzen, dass der Sturz des Kindes schnell vergessen sein wird, und wollen das unseren Kindern mitteilen.
Im Prinzip ist das ein verständlicher Ansatz, er ist bloß nicht auf die Perspektive eines (Klein)Kindes abgestimmt: Kinder leben noch im JETZT, sie besitzen noch keinen Weitblick, denken nicht an morgen und gleich.
Mal ganz abgesehen davon, dass ohnehin jeder ein anderes Schmerzempfinden hat.
Ich habe eine Geburt ohne Schmerzmittel hinter mich gebracht, trotzdem würde ich keiner gebärenden Person sagen, das täte gar nicht schlimm weh. Genauso wenig Sinn macht es deinem Kind zu sagen, dass Hänschen oder Lieschen doch auch nicht weinen. Das hilft deinem Kind und seinem*ihrem schmerzenden Knie in diesem Moment nicht weiter.
Die meisten Eltern, da bin ich mir sicher, wollen ihren Kindern zwar helfen, mit dem Schmerz (schnell) umzugehen, sie machen sich aber keine Gedanken, dass ein ›Nichts Passiert‹ an der Realität des Kindes vorbeigeht. -Auch, weil sie es selbst als Kinder vermutlich tausendmal so gesagt bekommen haben. Das macht es aber am Ende nicht besser.
Am Ende zählt, was ankommt.
Mit dem Trost verhält sich ähnlich wie mit der Frustbegleitung. Wie Frust, so nehmen Kinder auch Schmerz anders, subjektiver wahr, und brauchen Hilfestellung bei der Verarbeitung und dem Umgang damit.
Tatsache ist, wenn ich Nana nach einem Sturz sage, dass nichts schlimmes passiert ist und sie aufhören solle zu weinen, würde ich IHR Empfinden, IHRE Wahrnehmung ad absurdum führen: Es IST ja etwas passiert, und für meine Tochter fühlt sich das schlimm an! Sei es, weil das Knie wirklich doll wehtut, weil sie sich beim Fallen erschrocken hat, oder weil sie einfach enttäuscht ist, dass sie überhaupt schon wieder gestürzt ist. Ich würde ihr (indirekt!) vermitteln, dass ihr Empfinden nicht richtig ist. Dass es falsch ist, zu weinen, Schmerzen oder Enttäuschung zu kommunizieren. Und wenn das wiederholt passiert, dann könnte es durchaus sein, dass mein Kind irgendwann nicht mehr nach jedem Sturz zu mir kommen würde. Aber nicht, weil der Schmerz weniger geworden ist, sondern weil sie sich für ihre Gefühle schämt.
Sie würde dann keinen Trost mehr wollen, weil sie erfahren hätte, dass sie keinen Trost bekommt. DAS möchte ich nicht! Und ich glaube nicht, dass das irgendjemand das wirklich für das eigene Kind will.
Manchmal braucht es neben Trost, noch Mut. So hilfst du deinem Kind Ängste zu überwinden ZUM BEITRAG
Echter Trost ist es nicht, wenn jemand vermutet, dass es gleich besser sein wird, obwohl es GERADE JETZT weh tut. Einem Kind reicht das nicht, um sich gesehen zu fühlen. Nana kann mit dem Ausblick darauf, dass ihr aufgeschlagenes Knie in ein paar Tagen verheilt sein wird, nicht viel anfangen. Sie zeigt trotzdem immer wieder darauf, und teilt mir mit, dass es weh tut (oder weh getan hat). Trost will mehr. Trost will Dasein!
Pusten, Küssen, Pflaster drauf: Kinder richtig trösten
Ich bin da für Nana, wenn ich sie frage, was ihr weh tut. Wenn ich meinem Kind dann zuhöre, wenn sie mir erzählt (oder zeigt), wo sie hingefallen ist und wo es weh tut, und ich puste, dann fühlt meine Tochter sich gesehen.
Manchmal hilft auch Creme, oder ein Pflaster. Oft pusten wir aber auch nochmal ganz feste zusammen. Der Fußboden musste auch schon mal gepustet werden. Wir pusten was das Zeug hält hier. Wir geben ihr damit ein Tool, mit ihren Schmerzen (auch selber) umzugehen: Wegpusten.
Nana pustet inzwischen auch ihr Kuscheltier, wenn es von der Couch fällt. Sie ahmt nach, dass sie so für jemanden da sein kann, dem es gerade (vermutlich) schlecht geht. Ein erster Schritt in Richtung Empathie.
Empathie ist etwas, was sich mMn nicht aus einer reinen Logik heraus bei Kindern entwickeln oder ableiten kann, sondern nur dann in reiner Form entsteht, wenn WIR auch unseren Kindern empathisch begegnen.
Ich lese allerdings auch immer wieder von dem Bedenken, dass ein Kind verweichlichen, weinerlich werden könnte, wenn es immerzu (oder zu viel) getröstet wird.
Wichtiger finde ich da allerdings, WIE wir beim Trösten reagieren, welche Emotionen wir spiegeln. Ja, ich puste auch fünfmal das Knie, weil ich das Bedürfnis meiner Tochter nach Trost erfülle. Und ich kommuniziere auch mit ihr, unaufgeregt. Ich schaue mit ihr zusammen ihr Knie an, sage ihr, was ich sehe, und frage sie, was sie sieht. Ich sage ihr also NATÜRLICH, wenn am Knie keine Verletzung zu sehen ist. Und ich kann auch die Vermutung aussprechen, dass ich denke, dass es gleich nicht mehr weh tun WIRD. Der Unterschied: Ich mache deutlich, dass das nur meine Wahrnehmung ist. Ihre Wahrnehmung kann anders sein (und ist nicht falsch!), deswegen frage ich danach und handle danach: Tröste sie, so wie sie es braucht. ›Schau, der Kratzer sieht, finde ich, gar nicht sehr groß aus. Sollen wir nochmal zusammen pusten? Vielleicht wird es dann besser.‹
Ich nehme mein Kind wahr, auch wenn ich mir sicher sein sollte, dass es nur der Schreck ist. Sagt sie, dass sie den Kratzer groß findet, gehe ich darauf ein: ›Was können wir noch machen, damit es dir weniger weh tut?‹
Warum ist mir das so wichtig?
Die Perspektive unserer Kinder ist noch viel enger, als unsere.
Vielleicht ist nichts gefährliches passiert, schwere Verletzungen ausgeschlossen. Vielleicht ist in fünf Minuten schon wieder alles gut. Aber. Das Kind ist hingefallen und es tut weh am Knie und an den Händen. Und traurig ist er*sie auch darüber. DAS ist in DIESEM MOMENT das Einzige, was seine*ihre Gefühlswelt bewegt. Also sucht das Kind, genau, Trost.
Trost ist eine Entlastung. Und Halt. Sicherheit. Und Stärkung.
Wie richtig trösten? Es ist im Zweifel immer erstmal eine gute Entscheidung, die Situation zu beschreiben und nachzufragen, ob es weh tut. Dein Kind wird dir zeigen, was es noch zum Trost braucht.
Mama, pusten: Trösten ohne Aua?
In letzter Zeit kommt es manchmal vor, dass Nana will, dass wir pusten, obwohl ich mir ziemlich sicher bin, dass WIRKLICH nichts passiert ist.
Nun gäbe es sicher Eltern, die uns raten würden, darauf nicht einzugehen, weil unser Kind „nur Aufmerksamkeit“ sucht. Aber GENAU DESWEGEN gehe ich jedes Mal darauf ein: Weil wieder ein Bedürfnis dahinter steckt, das Bedürfnis gesehen zu werden.
Genau: Meine Tochter möchte Aufmerksamkeit. Zuwendung. Die sie ja durchs Trösten zB besonders bekommt. Clever. Was ist falsch daran?
Vielleicht will sie spielen. Was ist falsch daran?
Vielleicht handelt es sich auch um eine ganz andere Art von Aua, eines in der Gefühlswelt, dass sie mir nicht anders als auf diese Weise kommunizieren kann. Frust, Wut, etwas wofür sie meinen Trost braucht -Was sie auf ein „Aua pusten“ umleitet. Also tröste ich meine Tochter bedingungslos, wenn sie das möchte, irgendein Aua wird Dasein.
Ich finde es falsch, den Wunsch nach Trost zu übergehen aufgrund von Vermutungen. Ich denke, dass es wichtig für mein Kind ist, dass sie sich gesehen und ernstgenommen fühlt, auch dann, wenn ich vielleicht nicht gleich verstehe, was da gerade weh tut. Ich bin da. Ich tröste. Immer.
| Fiona
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Was für ein schöner Beitrag. ? Genauso habe ich das mit meinem Kind auch gehandhabt. Inzwischen ist es ein Teenager, kommt gut mit Stürzen (beim Sport und im Leben) klar, kann seine Auas altersentsprechend teilweise selbst versorgen, und kommt immer noch manchmal damit, dass ich es mir ansehe, dass wir gemeinsam überlegen, was helfen könnte. lg s.
Das klingt sehr schön ?
lieben Gruß, Fiona
Ja. ? Ich war ein recht verbogenes Kind, weit über die Schmerzgrenze verbogen. Ich mag Deinen Seiten-Titel. ? Mein Kind ist unverbogen, und das ist extrem schön. Ich bin sehr froh, dass mein Mann und ich das so gemacht und geschafft haben mit der Kinderer“zieh“ung. ? Schönen Abend, s.
Nicht vorzustellen, wenn Kinder denken würden wie Erwachsene: „Bin jetzt 5 mal hingefallen, ich glaube, laufen ist nichts für mich.“ ;oP Wieder ein schöner Artikel. Danke!