Erziehungsfrei | Philosophie

Kindern vertrauen: Wie Erziehung das Vertrauen zerstört

Babys sind kompetent. Okay. Sie wissen noch nicht viel von der Welt, von Regeln, von uns, sich, und ihren Emotionen, sie wissen nicht einmal, wo sie anfangen und wo aufhören- aber: Sie nehmen kompetent ihre eigenen Bedürfnisse wahr, bringen alles mit, was sie brauchen, um schnell und unermüdlich zu lernen, und teilen sich mit. Wir vertrauen darauf, dass sie uns zeigen, was sie brauchen. Wie sieht es aber aus beim „Kindern Vertrauen“?

Ein Neugeborenes sucht die Brust der Mutter und krault sich vorwärts, um zu trinken. Ein Baby weint, es sucht Nähe, Wärme und Trost. Ein überreiztes Baby schreit. Müde sucht es die Brust, den Daumen oder den Schnuller, wenn es daran angewöhnt wurde, um zur Ruhe zu kommen.

Sie suchen nach Bedürfniserfüllung, und lernen rasch, sich immer genauer mitzuteilen.

Über vieles ist man sich heute im Umgang mit den Allerkleinsten immer mehr einig: Babys füttern nach der Uhr, ist gemein und längst überholt. Babys Schlafzeiten richten sich nicht nach unserem feinen Tag- Nachtrhythmus, auch das erkennen Eltern heutzutage müde an. Und wann ein Baby bereit für Beikost ist, das zeigt es uns und probiert sich durch.

Bedürfnisorientierung nennen wir das.

Babys sind kompetent. Sind kleine und große Kinder das auch?

„Sie holen sich, was sie brauchen. Sie zeigen, wenn ihnen etwas fehlt oder etwas sie stört.“

Bei Babys fällt es vielen von uns meist leicht, geschriebenes zu sagen, es anderen zu raten und selbst darauf zu vertrauen. Ist es nicht traurig erstaunlich, dass uns das Vertrauen in dieses Basic immer schwerer fällt, je älter sie werden?

Wenn sie fünf, sechs oder acht Jahre alt sind, und wählerische Esser sind oder Spätschläfer. Oder keine Jacke tragen mögen, wenn wir schon frieren

Besonders wenn unsere Kinder immer mehr andere Vorstellungen verfolgen, als wir; wenn sie ausprobieren und anders machen, wütend über unser Nein werden, und scheinbar dabei provozieren, fällt uns das Vertrauen nicht mehr leicht. Wir drohen, mahnen, bestrafen, im gutgemeinten Glauben, das Beste für sie zu tun, indem wir ihnen den richtigen Weg weisen. Denn die Welt ist hart. Vice versa loben wir gutes Verhalten, in der Hoffnung, dieses zu stärken.

Vertrauen und Erziehung, Vater und Kind schauen sich vertraut an

Babys, kleine und große Kinder: Sie wollen dazugehören.

Menschen haben ein krass soziales Bestreben. Schon ein Baby ist bestrebt, Teil des sozialen Gefüges zu werden, in das es hineingeboren wird, also schmeißt es instinktiv sein Engelslächeln an. Doch auch später und umso älter sie werden nehmen sie in rasanter Geschwindigkeit Verhaltensweisen, Floskeln und Gebräuche an, die sie beobachten (btw auch die schlechten!). Sie wollen uns in der Regel also nicht verärgern, und wenn sie es doch tun, hat das einen Grund, den sie nicht anders ausdrücken können. Kinder suchen keinen Ärger, entgegen aller Behauptungen, sie suchen Verbindung, Verständnis, Sicherheit. Wie schlimm muss es sein, stattdessen bestraft zu werden?

Sie tun FÜR sich, nicht GEGEN uns, um ihre Bedürfnisse, die sie so kompetent wahrnehmen, zu erfüllen und ihre Integrität zu schützen.

Nur eben nicht immer in unserem Sinne -Denn wie sie ihre Bedürfnisse und ihr Sosein wahren, ihr gesehen werden sicherstellen und ihren Willen ausdrücken, ohne dabei andere zu tangieren, lernen Kinder erst noch. Und in erster Linie lernen sie es von uns.

Nicht durch Drohen und Strafen und Belohnen, sondern durch Vorleben und Begleitung.

Kindern vertrauen: Vom Lernen durch Ausprobieren, Fehlschlägen und Begleitung ohne Erziehung

Babys lernen schnell und alleine mithilfe ihrer unglaublichen Auffassungsgabe: Sprechen, Laufen, Verhaltensweisen Nachahmen. Aber wenn es darum geht, dass ein fünf, sechs oder achtjähriges Kind ordentlich isst, zuvorkommend teilt, konzentriert rechnet, still sitzt und sich höflich bedankt, fällt es uns zunehmend schwer, ihnen ihre Zeit und ihr Moratorium zum lernen, Fehler machen und ausprobieren zuzugestehen. Das Vertrauen, dass sie von ganz alleine, alles was sie brauchen, lernen werden, wankt. Wenn ein Baby zupatscht, lächeln wir das wohlwollend weg; wenn das große Kind Frust rauslässt und ebenso nicht-böswillig wütet, lässt uns das straucheln: Ist das noch okay?

Fehler gehören zum Lernen, zum werden.

Genauso das über die Stränge schlagen, Grenzen austesten, DADURCH Grenzen erfahren. Missgeschicke und wiederholtes Probieren sind wichtig – bei Babys und sehr kleinen Kindern sehen wir das noch ein, bei größeren Kindern kommen wir mehr und mehr ins Grübeln. Und beim Teenie hoffen wir, alles an ihnen bereits hingebogen zu haben, dass sie gar nicht auf die Idee für all den Unsinn kommen, den wir auch gemacht haben – wir erziehen. Wir versuchen bewusst in ihre Entwicklung einzugreifen.

Und wir benutzen dabei zwangsläufig immer härtere Methoden, freilich, wenn die weicheren Methoden nicht mehr funktionieren (was auch so ein Problem von Erziehung ist).


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Doch Kinder sind kompetent. Es lohnt sich ihnen zuzuhören, sie zu sehen und ihnen zu vertrauen. (Autoritäre) Erziehung spricht Kindern ihre Kompetenz ab, ihre eigenen Bedürfnisse zu erkennen und (mit Hilfe) zu erfüllen, auch ihre Lernfähigkeit aus eigenem Antrieb und das Bestreben, Teil der Gemeinschaft werden zu wollen. Anstelle gutherziger Intentionen und lernender, orientierungsuchender kleiner Menschen, sieht Erziehung trotzende, unfertige, provozierende Zöglinge vor sich, aus denen ohne alle die gut gemeinten erzieherischen Methoden nicht gutes werden könne. Gemein? Ja.

Erziehung ist gradlinig.

Doch jedes Verhalten hat einen Grund und oft hilft es, im Zickzack zu gehen.

Erziehung formt Kinder und arbeitet aufs optimale Outcome hin; höflich, pünktlich, ordentlich, bestrebt, zuvorkommend, gehorsam, und trotzdem bitte taff und individuell – ohne Vertrauen, dass bereits Dasein und Aushalten wertvoller ist, als Bestimmen. Mehr noch: Ohne Vertrauen, dass das Kind auch ohne Formung und direkte Einflussnahme sein*ihr Leben gut gestaltet, genauso wie er*sie ist (Gäbe es dieses Vertrauen, würde Fehlen von Erziehung von Erziehungsbefürwortern gar nicht erst kritisiert werden müssen…)

Das kann ein Kind alles nicht alleine (entscheiden), sagt die Erziehung, es braucht einen vorgeformten Weg. Es kann nicht aus sich selbst heraus das wichtige fürs Leben lernen. Es braucht (künstliche) Grenzen (zum Lernen). Fremdbestimmung. Eine unnachgiebige Hand. Es braucht Lob und Tadel und Vorschriften, sagt die Erziehung.

Doch es braucht nur zugewandte Begleitung, jemand, die*der zuhört. Jemand, die*der hinsieht, unterstützt(!), beschützt(!), sich sorgt und vertraut, aber keine Formung von außen. Denn das Kind ist bereits gut, genau wie es ist, antwortet die Erziehungsfreiheit.

Warum Vertrauen schwer fällt: Kinder begleiten, ist kein gemütlicher Spaziergang

Bliebt noch die Frage, warum? Warum verlieren wir eigentlich das anfängliche Vertrauen, wenn unsere Kinder älter werden? Babys sind noch ziemlich niedlich und unbeholfen und krabbeln maximal alsbald unschuldig umher. Ziemlich bald entwickelt sich aber etwas, was wir den Willen nennen. Und dann tun Kinder immer öfter unbequeme Dinge, auf ihrem Weg Erwachsen zu werden. Sie testen und verfehlen, und mehr noch, sie wiederholen diese unbequemen Dinge, trotzdessen wir sie wegsetzen und uns fusselig erklären. Sie haben viele Ideen und noch nicht den Weitblick, wie wir.

Schnell fragen wir uns, was denken die anderen?

Was kann ich tun, wenn ICH etwas nicht will?

Wie bringen wir diesen kleinen Menschen auf einen guten Weg, bevor aus dem süßen patschenden Baby ein „aggressiver Rotzlöffel“ wird, die*der dem Nachbarskind das Spielzeug klaut? Harter Gedanke? Finde ich auch, aber einer der Erziehung nun mal zugrunde liegt.

Und vielleicht am härtesten neben alle dem für uns: Unsere Kinder wollen irgendwann Dinge tun, die wir selbst als Kinder nicht ausprobieren konnten, weil es uns verboten wurde oder wir dafür bestraft wurden. Das weckt einen Schmerz in unserem inneren Kind, den wir ungefiltert an unsere Kinder weitergeben, wenn wir nicht genau hier achtsam mit uns sind. Es ist nicht einfach, ja zu sagen, worin uns ein Nein anerzogen wurde – leichter ist es, ja zu sagen, wo wir ein Ja gehört haben. Ein wertvoller Leitsatz ist da für mich: Sei zu deinem Kind, wie du dir tief drin gewünscht hättest, dass deine Eltern zu dir gewesen wären.

Tatsache ist: Wir haben als Eltern Angst, dass Vorbild und Liebe und Erklären und Hinsehen und Helfen doch nicht reichen, weil wir in unserer eigenen Kindheit vermittelt bekommen haben, dass Drohen, Strafen und Bestimmen nötig sind. Weil Wir sonst nicht gut wären. Weil UNS nicht vertraut wurde. Und Leute, DAS ist es, wie Erziehung schadet.

Dabei ist Vertrauen einer der wichtigsten Dinge in der Eltern-Kind Beziehung.

Pinterest Pin  Bitte Vertrau Mir! Vertrauen in der Erziehung

Ich behaupte, gerade dann wenn unsere Kinder neue Erfahrungen sammeln, lernen, probieren und experimentieren, gerade dann wenn sie in einer Phase stecken, in der sie ihre Emotionen nicht gut regulieren können; und vielleicht sogar noch mehr, wenn sie bewusst Mist machen, um vor ihren Freunden cool zu sein, bitten sie uns um unser Vertrauen. Sie bitten uns, um Vertrauen statt Erziehung. Verstehen statt Schimpfen. Liebe statt Time Out. Um Freude über ihren Einfall, statt Schimpfe. Um Gutmütigkeit, davon bin ich überzeugt. Sie können uns das nur nicht sagen, und wüten stattdessen von einem unbestimmten Gefühl getrieben weiter, immer wieder, solange sie Kraft haben – denn sie wissen ja gar nicht, was ihnen da fehlt, wenn sie es von uns nie erfahren. Wenn sie nie gezeigt bekommen, dass Vertrauen reicht. Bis sie eines Tages Erwachsene werden, die selber wieder glauben, dass es Erziehung statt Vertrauen braucht. Erziehung ist ein Gerenationsproblem, das WIR heute durchbrechen können.

Was können wir tun? Erstmal durchatmen beim nächsten Konflikt. Anfangen umzudenken. Diesen Blog lesen, natürlich. Hust. Überhaupt ganz viel Lesen und Fragen und Reflektieren. Anfangen umzudenken. Anfangen mehr zu vertrauen, mehr ja zu sagen und unsere Kinder anzunehmen, wie sie sind. Und dann einen Schritt nach dem anderen gehen. In ein Familienleben ohne Erziehung. So gut es geht.

Und den Kinder vertrauen, egal ob Babys, oder ob sie vier, sechs oder acht Jahre oder älter sind. Schaut sie euch an, sie sind immer noch eure kompetenten Babys.

| Fiona

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