Wie in der Villa Kunterbunt: Ohne Erziehung leben
Erziehungsfrei leben, wie in der Villa Kunterbunt. ›Darf sie dann alles tun und lassen, was sie will? Hast du gar keine Bedenken, dass sie dir später auf der Nase herumtanzt?‹ – So oder so ähnlich begegnen mir die meisten Menschen, denen gegenüber ich erwähne, dass wir ohne Erziehung leben. Von Erstaunen, Interesse und Kopfschütteln, bis hin zu Entsetzen habe ich so ziemlich die gesamte Palette an möglichen Reaktionen schon erlebt.
Erfahrungsgemäß überwiegen Ablehnung und Augenrollen, also vermeide ich es mittlerweile, darüber zu sprechen, was wir NICHT tun. Ich erzähle lieber davon, WIE wir konkrete Situationen und Konflikte lösen.
Ohne Erziehung Leben? Wie soll das gehen?
Ich frage mich oft, wie sich die Leute ein Leben ohne Erziehung eigentlich vorstellen. Mir fallen auf Anhieb ein Haufen Vorurteile ein, die du haben könntest. Du stellst dir mein Kind vermutlich bereits als diesen Tyrannen vor, der mir und dir und jedem auf der Nase herumtanzt.
Zugegeben: Unerzogen ist ein unbequemes Wort.
Es stemmt sich gegen alle Glaubenssätze, mit denen der Großteil von uns aufgewachsen ist, und weckt darüber hinaus Assoziationen von VERzogenen Kindern – Obwohl das eine mit dem anderen überhaupt nichts zu tun hat.
Meine Tochter ist nicht dieses freche ›Blag‹, das deinem Kind im Buddelkasten Sand in die Augen wirft, ohne dass Mama hochguckt und etwas dazu sagt. Sie ist auch nicht das ›Arschlochkind‹, das im Supermarkt die Regale ausräumt und dir galant ein Paket Zucker vor die Füße wirft, während Mama mit der Nachbarin einen Plausch hält. Natürlich achte ich auf mein Kind und reagiere auf sie. Immer.
Würde ich das nicht tun, dann wäre das, wenn überhaupt, antiautoritäre Erziehung. Und das ist etwas VÖLLIG ANDERES, als das, was wir tun.
Mir ist es genauso wichtig wie dir, dass mein Kind im Restaurant weder Kellner noch andere Gäste stört. Mein Kind wird genauso weinen, wie deines, wenn wir vom Spielplatz nach Hause wollen. Und die cremefarbenen Wände im Wohnzimmer mag ich auch nicht lustigbunt mit Filzstift bemalt haben. Mit dem UNTERSCHIED, dass ich nicht in Schimpftriaden ausbrechen werde, wenn es dann doch passiert. Ich schaue mir das Schlamassel erstmal an und atme. Und dann erkläre ich Nana, was mir daran nicht gefällt. Finde eine brauchbare Lösung und mache mir dabei einfach mal klar, dass ihre Perspektive eine andere ist.
Nicht zu erziehen, bedeutet NICHT, mein Kind machen zu lassen. Ich nehme mich nicht aus meiner Verantwortung. Nicht im Geringsten.
Mehr über Verantwortung und ErziehungsFREIheit findest du HIER
Nicht Erziehen ist harte Arbeit
Es geht um (Selbst-)Reflexion und das fortwährende Hinterfragen von Glaubenssätzen. Es geht um das Erkennen von Bedürfnissen und Finden von Lösungen, die uns glücklich machen, statt uns voneinander zu entfernen.
Es geht darum, sich über die kindliche Entwicklung bewusst zu werden:
Wie sieht mein Kind die Welt? Was ist ihre Idee, ihre Perspektive, ihr Bedürfnis? Wie steht es um ihre Frustrationstoleranz, ihre Impulskontrolle und Empathie? Und warum macht es aus Sicht des Spracherwerbs ohnehin keinen großen Sinn dauernd Nicht-Botschaften zu formulieren?
Es geht um die Art und Weise, wie wir miteinander kommunizieren.
Wenn ich etwas nicht möchte, dann sage ich das meiner Tochter.
Aber ERSTENS stehe ich dann auch wirklich dahinter. Und ZWEITENS erwarte ich weder, dass sie mich versteht, noch, dass sie es genauso sieht (bloß weil sie es versteht) und anstandslos umsetzt. Von einem*r Freund*in würde ich auch nicht erwarten, dass er*sie JEDEN meiner Ratschläge annimmt. Ich würde es bis zu einem gewissen Punkt aushalten, wenn er*sie etwas macht, was ich zwar richtig unschön finde, aber zumindest mit mir vereinbaren kann. ich würde diskutieren, wenn ich es für notwendig halte. Ich würde aber sofort Verantwortung übernehmen und ihn*sie aufhalten, wenn er*sie auf die befahrene Straße rennt. Und genauso gehe ich eben auch mit meiner Tochter um.
Ich schütze mich und andere und jegliche Eigentümer. Ich schütze selbstverständlich meine Tochter, in Situationen, die sie nicht einschätzen kann. Ich begleite dann ihren Frust und spreche MIT ihr. Ich entschuldige mich bei ihr, wenn ich ein STOP setze, dass vielleicht nicht gerade lebensnotwendig, aber für MICH gerade eben trotzdem echt wichtig ist. Ist doch logisch, dass sie das nicht toll findet. Ich habe Verständnis für Nana, versuche es zumindest, weil ich mir ständig bewusst mache, dass die Situation aus ihrer Perspektive einfach noch ganz anders ausschaut.
Auf diese Art und Weise mit meinem Kind umzugehen, ist harte Arbeit.
Nicht erziehen bedeutet zu hinterfragen und zu überlegen und eben nicht einfach nur zu machen, was alle für gewöhnlich machen würden. Nicht zu drohen, nach Hause zu gehen, weil das der Standard auf Spielplätzen ist.
Du willst Schritt für Schritt den Weg in die ErziehungsFREiheit gehen? Ich sage dir, wie du am besten anfängst: ZUM BEITRAG
Es ist nicht einfacher, nicht zu erziehen
Eine ›Wenn-Dann Ansage, und wenn das Kind dann immer noch nicht hört, muss es mit der Konsequenz eben leben‹ ist einfacher. Nicht schöner. Nicht LEICHTER, aber einfacher. Ich setze um, was ich selbst gelernt habe, selbst erfahren habe -unabhängig davon, wie ich das als Kind empfunden habe.
Einfach ist aber nun mal nicht zwangsläufig besser.
Fakt ist, wenn Erziehung funktionieren würde, gäbe es nicht so viele erzogene Kinder, die anecken, rausfallen.
Kinder, die einfach nicht in die Form hineinpassen, in die ihre Eltern sie versuchen hineinzuerziehen. Kinder, die nicht gehört und nicht gesehen werden. Kinder, die unter Erziehung richtig mies leiden, und das als Erwachsene ausbaden müssen. Ich möchte nicht behaupten, dass jedes erzogene Kind einen schwerwiegenden Schaden davonträgt. Natürlich gibt es Kinder, die damit umgehen lernen. Es sei mal dahingestellt, wie gut oder schlecht das ist. Aber ich denke, nein ich bin mir sicher, wir alle buckeln große und kleine anerzogene Päckchen auf unseren Schultern.
Ohne Erziehung leben: Villa Kunterbunt
Wir haben uns für den Verzicht auf Erziehung also nicht entschieden, weil es einfach ist. Auch nicht, weil wir sicher sein könnten, dass unsere Tochter deswegen nun irgendwie zu einem besseren Menschen wird (Können wir nicht, aber darum geht es auch überhaupt nicht!). Sondern weil es sich richtig anfühlt. Weil es uns GLÜCKLICH macht, unsere Tochter bedingungslos gewaltfrei, respektvoll und geliebt aufwachsen zu sehen.
Stell dir unser Zusammenleben ohne Erziehung als Haus vor: Ein Fundament, vier Wände und ein kunterbuntes Dach.
Das Fundament: Die erziehungsfreie Haltung
Im Fundament steht die Haltung.
Nicht zu Erziehen ist keine (!) Methode, sondern eine Haltung. Es ist die tiefe Überzeugung, meine Tochter in keiner Form gewaltsam formen zu wollen, sondern sie anzunehmen, wie sie ist. Das ist ungefähr so, wie vegan leben, weil du davon überzeugt bist, Tieren kein Leid antun zu wollen.
Du machst das, weil du es fühlst.
Ob es der absolut megageniale richtige Weg ist, oder doch nur EIN Weg unter vielen anderen genauso guten Wegen, sei erstmal nur dahingestellt.
Du brauchst also eigentlich nur auf dein (reflektiertes) Herz zu hören. So einfach das ist, so schwierig ist das aber mit Herzenssachen oftmals auch. Es bedeutet nämlich, dass du nicht nur ein Bisschen so leben kannst. Entweder die unerzogene Haltung ist da, irgendwo in dir drin, oder nicht. Entweder du lehnst Erziehung ab, oder nicht. Entweder du bist bereit dein Tun zu hinterfragen, oder eben nicht.
Geht es überhaupt ohne Erziehung? Mehr Gedanken rund um ErziehungsFREIheit findest du HIER
Um eines mal direkt klar zu stellen: Natürlich läuft nicht immer alles wunderbar unerzogen rund. Natürlich mache ich Fehler. Dauernd.
Natürlich kann ich manche Glaubensansätze, die mir da jahrelang anerzogen wurden, nicht von heute auf morgen komplett ablegen.
Das ist nicht nur unmöglich, das würde vermutlich auch zur persönlichen emotionalen Katastrophe führen. Wir sind auf dem Weg. Jeden Tag ein Stück. Total unperfekt. Streiten, hauen dämliche Sprüche raus, alles das.
Aber: Die Haltung ist eben da, egal was ich tue. Ich lehne Erziehung zu jedem Zeitpunkt ab. Ich hinterfrage mein Tun. Und wenn ich zu dem Schluss komme, dass das jetzt unschönerweise eben doch erzieherisch war, dann entschuldige ich mich bei meinem Kind und suche andere Wege.
Warum ich das tue? Weil Erziehung Gewalt ist. Das ist MEINE Einstellung dazu. Erziehung formt. Erziehung lehnt ab oder stärkt Verhaltensweisen, aber hinterfragt sie nicht. Erziehung ist IMMER ein machtvoller Eingriff.
Der Erziehungsbegriff: Der Zögling wird vom ihn Erziehenden in ein genormtes Muster hineinerzogen, dabei werden unerwünschte Verhaltensweisen durch negative Rückmeldungen ausgesiebt und erwünschte Verhaltensweisen bestärkt, um den Zögling mit den Erwartungshaltungen konform zu machen (Erziehungsziel). Zu diesem Zweck nutzt der Erziehende das Machtgefälle zwischen ihm und dem ihm jederzeit UNTERgeordneten Zögling aus, und wendet Formen verbaler, psychischer, physischer, mindestens struktureller Gewalt an (Erziehungsmethoden). MEHR ÜBER ERZIEHUNG
Erziehung ohne Gewalt ist faktisch nicht möglich, denn Erziehung beruft sich immer auf die ihr zugrundeliegende Erziehungsgewalt.
Du kannst NATÜRLICH umsichtig sein, wenn du dein Kind erziehst, auf die krassen Methoden verzichten (Was ich dir so oder so ans Herz lege!) und auf Augenhöhe gehen, aber spätestens beim Beharren auf ein _nicht notwendiges_ Verbot oder Gebot, berufst du dich wieder auf die grundlegendste Form erzieherischer Gewalt: Den Machtmissbrauch.
Das klingt hart, ich weiß. Ist es ja auch.
Ich habe ja selbst vor gut anderthalb Jahren noch gesagt und gedacht, Erziehung MUSS sein. Bis mir DAS bewusst geworden ist. Bis mir klar wurde, dass Erziehung vermeidbar ist.
Der Verzicht auf Erziehung richtet sich gegen erzieherische Gewalt. Es ist nämlich verdammt ungerecht, mit einem Kind so umzugehen.
Was ist mit Schützender Gewalt? schützende Gewalt behält auch immer ihre Berechtigung. Hier geht es zB. um die Sicherheit und Gesundheit meines Kindes. Wenn Nana auf die Straße rennt, halte ich sie selbstverständlich fest. Der Unterschied: Ich schimpfe anschließend nicht. Ich setze aber ein klares STOP und erkläre es.
Das ist also MEINE Haltung.
Wenn du es legitim findest, deinem Kind erzieherisch ENTGEGENzutreten, dann ist das für in Ordnung. Wir können trotzdem Freunde sein. Du bist deswegen jetzt kein gewalttätiger Egoist oder irgend so ein Schmarrn, sondern ein ganz normales Elternteil. Wenn du die Haltung nicht hast, dann empfindest du Erziehung nun mal nicht als Gewalt. Und das weiß ich auch. Das ist wie Fleisch und Tierprodukte essen, obwohl ich weiß, dass da Tiere für sterben müssen oder Gewalt erfahren. Ein Leben ohne Erziehung ist nichts für dich, wenn du die Haltung nicht leben kannst oder willst – So wie es für mich eben nichts mehr wird mit dem vegetarisch oder gar dem veganen Lebensstil.
Die vier Wände: Was wir tun und nicht tun
Der Konsens dessen, was ohne Erziehung leben bedeutet, lässt sich grob (!) auf vier Säulen herunterbrechen: Die Wände unseres Häuschens. Diese Wände sind sowas, wie die Verankerung im Hier und Jetzt, die sich aus unserer Haltung für unser familiäres Zusammenleben im Alltag ergibt.
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1. Verzicht auf Bestrafung und Beschimpfung
Stell dir vor, dir rutscht beim Abräumen ein Glas aus der Hand, und dein Partner bäumt sich mit erhobenem Zeigefinger vor dir auf, ›ich habe dir doch schon tausendmal gesagt, du sollst vorsichtig sein. Du kriegst jetzt keinen Nachtisch mehr.‹. Nicht wirklich freundlich. Auch nicht grad aufbauend oder irgendwie aufschlussreich oder beziehungsfördernd.
Bestrafung ist eine offensichtliche Form erzieherischer Gewalt. Sei es durch körperliche Ausschreitungen, durch Liebesentzug (zB. Auszeiten) oder durch einen Machtmissbrauch: ›Es passiert jetzt X, weil ich es sage‹.
Schimpfe ist der kleine Bruder der Bestrafung und ist gegenüber Kindern leider zur Normalität geworden.
Ich habe mein Kind tatsächlich noch nie bestraft oder ausgeschimpft.*
Das ist überhaupt nicht notwendig. Wir können über alles reden. Ich sage ihr, wenn ich etwas nicht mag und unterbinde ggf. ihr Verhalten. Ich hole sie auch mal aus einer ganz blöden Situation raus, nehme sie in den Arm und erkläre es ihr nochmal. Aber niemals würde ich ihr das Gefühl vermitteln wollen, dass sie, so wie sie ist, schlecht, ungeliebt und böse ist.
*Edit 10/2021: Mittlerweile ist meine Tochter wackelzahnpubertierend. Ich habe gelernt, dass es okay ist, dem eigenen Frust Luft zu machen. Geschimpft habe ich schon viel zu oft, genauso oft habe ich mich entschuldigt. Genauso oft haben wir geredet und doch Lösungen gefunden – Ich würde behaupten, bestraft habe ich noch immer nicht, mein Kind sieht das vermutlich anders. Eine Perspektivfrage.
2. Verzicht auf Belohnung und manipulatives Lob
Wenn ich meine Tochter belohne oder manipulativ lobe, also ein ganz bestimmtes Verhalten positiv bestärke, dann zieht das automatisch die Abwertung des nicht belohnten/gelobten Verhaltens nach sich. Manipulation ist auch schön verpackt eine Form von Gewalt. Tricky.
Versteh mich nicht falsch: Klar bekommt meine Tochter Geschenke. Aber sie bekommt die Geschenke nicht, WEIL sie etwas Tolles gemacht hat, und ich mich erzieherisch dazu berufen fühle, sie darin bestärken zu müssen, sondern einfach, weil ich sie liebe und unabhängig von ihrem Verhalten beschenken möchte. Ähnlich ist das mit dem Lob. Wenn Nana auf etwas tut, dann freue ich mich natürlich mit ihr: ›Woah du hast es geschafft, wie genial ist das denn. Ich freue mich.‹ Aber ich vermeide, so gut ich kann, dieses schrecklich gekünstelte ›toll gemacht‹ beim Zähneputzen oder Löffel benutzen, DAMIT sie es am nächsten Tag brav wiederholt.
Zugegeben, manchmal fällt mir das richtig schwer. Ich lobe eigentlich noch ziemlich oft.
Lob klingt auch erstmal überhaupt nicht negativ. Und es ist mMn immer noch besser, wenn du deinem Kind halt immer wieder erzählst, wie toll es etwas macht, wenn es etwas macht, damit es zB. sein*ihr Essen ordentlich isst, anstatt es mit einer Auszeit zu bestrafen, wenn es das nicht tut.
Nichts desto trotz: Für mich kommt es drauf an, WARUM und MIT WELCHER ABSICHT ich Lob verwende: Lobe ich DAMIT mein Kind ein Verhalten zeigt, oder lobe ich aus purer Freude und Wertschätzung?
3. Verzicht auf Verhaltensanweisungen und Verbote
Dass meine Tochter nicht uneingeschränkt alles machen kann, was sie will, ist inzwischen hoffentlich deutlich geworden. Ich gehe aber nicht mit einem vorgefertigten Regelkatalog durch den Tag, sondern reagiere AUTHENTISCH auf konkrete Situationen. Ich sage Nana nicht in üblicher Spielplatzmanier schon mal vorsorglich, dass ich es nicht mag, wenn sie mir Sand ins Gesicht wirft. Ich sage es ihr DANN, wenn es passiert und es mich WIRKLICH stört. Dann bitte ich sie, in eine andere Richtung oder ihren Eimer zu werfen, oder ich stehe auf, um MICH zu schützen.
Wenn ich ein STOP setze, dann hat das einen echten Grund.
Es geht dann um mein Empfinden von Verantwortung , meine Gefühle und meine Überzeugungen. Nicht um vorgefertigte Erziehungsziele.
Und dann kommt es eben auch noch auf das WIE an.
Ich kann meine persönlichen Überzeugungen durchaus abstecken, ohne Erziehung, indem ich nämlich meinem Kind auf Augenhöhe begegne, mit ihr darüber spreche, Kreativität, Kompromissbereitschaft und zugegeben Geduld mitbringe. Und ganz wichtig: Indem ich EHRLICH bin. Ich mag kein Sand in den Haaren haben, weil ICH mir nun mal die Haare am Abend deswegen nicht waschen will. Das tut nicht weh. Ich finde es eben einfach nur unschön. Und GENAU DAS sage ich ihr dann auch, nicht dass „mans nicht macht“.
Klappt nicht immer ohne Tränen.
Aber im Großen und Ganzen versuche ich auf jegliche übergriffige Handlungen und Anweisungen zu verzichten, und stattdessen Lösungen zu finden, mit denen wir beide glücklich sind.
Kompromisse zu finden ist mit einem nicht ganz anderthalbjährigen Kind mühsam, da ich überwiegend natürlich noch alleine Lösungen nach der Trial-And-Error Methode erproben muss. Später finden wir die Lösungen dann (hoffentlich) richtig gemeinsam. Manche Situation wird das entspannen, andere wird das vermutlich eher noch verkomplizieren.
Genauso, wie ich Nana keine vorgefertigten Verbote aufliste, verzichte ich auf ständige Verhaltensanweisungen. Klar BITTE ich mein Kind, den runtergeworfenen Keks aufzuheben. Aber Bitten können abgelehnt werden. Natürlich FRAGE ich mein Kind, ob sie sich bedanken möchte. Aber Fragen können verneint werden. So ist das nun mal im Leben.
4. Altersgerechter Selbstbestimmung
Die vierte unseres Häuschens ist kein Verzicht, sondern eine Bereicherung (Wobei man auch vom Verzicht auf Kontrolle sprechen könnte).
Mit ihren 16Monaten bestimmt meine Tochter über ihren Körper und ihre körperlichen und weiterreichenden Bedürfnisse selbst. Klingt Komisch? Ist es eigentlich nicht. Ich höre oft, dass so kleine Kinder dieses und jenes und sonstiges ja noch überhaupt nicht entscheiden können. Das trifft auch auf jede Menge Dinge zu: Nana kann nicht über unsere Wohnsituation, unsern nächsten Urlaub und die Finanzen bestimmen. Auch nicht darüber, wie viel Freizeit wir zur Verfügung haben und ob wir den Besuch bei Oma ausfallen lassen. Aber: Sie kann über alles (mit-)bestimmen, das sie einschätzen kann.
Das sind für den Anfang ihre Bedürfnisse.
Im Grunde spricht nur eine einzige Sache dagegen: Unsere ANGST. Selbstbestimmung bedeutet Loslassen und Vertrauen.
Ich sehe das so: Niemand hat das Recht, über meine Tochter und ihren Körper zu bestimmen, außer ihr. Sie gehört sich selbst. Nicht mir. Nicht dem Papa. Nicht Oma und Opa. Nicht der Gesellschaft. Also schläft meine Tochter, wenn sie müde ist. Isst, wenn sie Hunger hat. So viel wie sie eben essen möchte. Und sie probiert auch nur das, was sie will. Sie bespielt und beschäftigt sich in erster Linie nur mit den Sachen, die sie interessieren. Dazu gehört auf lange Sicht auch ein selbstbestimmter Medienkonsum. Sie entscheidet, ob sie baden möchte, oder ob wir nur am Waschbecken planschen. Seit Kurzem sucht sie sich schon ihr Halstuch selber aus. Es werden sicherlich nach und nach weitere Kleidungsstücke folgen.
Für die Selbstbestimmung gilt NATÜRLICH, dass sie immer in einem altersgerechten und verantwortbaren Rahmen erfolgt. Dazu schaffe ich ein altersgerechtes Angebot an Optionen. Also alles halb so wild.
Ob ich Angst davor habe, dass mein Kind irgendwann nur noch Süßes in sich hineinschaufelt und ausschließlich vor der Glotze hängt? Nein.
Krankhafter übermäßiger Konsum kommt von einem nicht (Er-)Kennen der eigenen Bedürfnisse. Sucht wurzelt in anderen Dingen, als der reinen Möglichkeit des Konsum. Dazu kommt es aber nicht, wenn ich HINSCHAUE.
Denn: Selbstbestimmung bedeutet NICHT, alleine zu entscheiden.
ich Co-reguliere, wenn ich sehe, dass Nana meine Hilfe braucht. Ganz oft reicht es aber aus, zu vertrauen. Erziehung lässt uns das leider vergessen.
Das Dach: Die Umsetzung
Wir haben nun also ein Fundament und vier Wände, nun fehlt noch das Dach: Die Umsetzung. Wie funktioniert das nun konkret im Alltag, wenn du dein Kind jetzt nicht mehr erziehen willst? Irgendwie willst du ja trotzdem reagieren. Was machst du stattdessen, wenn dein Kind sich morgens nicht die Zähne putzen will, das Frühstückstoast amüsiert vom Tisch pfeffert, und nachmittags der Oma das Blumenbeet auseinanderpflücken mag? Wie viel musst du aushalten, wann musst du eingreifen? Und: Wie vermeidest du es dabei in Erziehung abzurutschen?
Ich muss dich an dieser Stelle enttäuschen.
Es gibt kein Patentrezept. Keine Anleitung. Keine Liste, wie es geht.
Das Dach ist kunterbunt, etwas krumm, geflickt und aus ganz unterschiedlichen Dachziegeln gebaut. Es kommt an dieser Stelle niemand und sagt, ›Man Muss, dass unerzogen so und so machen‹. Wäre ja auch wahnsinnig paradox. Dann wäre es ja doch Erziehung.
Die Umsetzung ist individuell. So individuell wie es die Kinder, ihre Mütter und Väter sind. An dieser Stelle musst du deinen eigenen Weg finden. Situationen Hinterfragen, Glaubenssätze reflektieren, dein inneres Kind befragen, Gewalt und Willkür erkennen und kreativ überwinden.
Fehler passieren. Elternschaft heißt auch Nerven lassen: Wie wir damit umgehen, wenn wir doch losmeckern, erfährst du HIER.
Jeder Mensch hat andere Bedürfnisse, andere persönliche Grenzen, andere Ängste. Ich kann dir nicht sagen, wie die Lösungen für deine Konflikte aussehen können, so dass es euch allen (!) gut damit gehen wird.
Das ist auch der Grund, warum ich hier KEINE allgemeingültigen ›Nicht‹Erziehungstipps geben kann! Ich kann dir nur von unserem Leben mit der erziehungsfreien Haltung berichten, von unseren Lösungen erzählen und unsere ganz Höhen und Tiefen mit dir teilen. Vielleicht hilft dir davon etwas. Vielleicht wirst du nichts finden, was dir gefällt.
Ich lade dich gerne ein, ein Stück unseres Weges gemeinsam zu gehen.
| Fiona
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Ein großartig geschriebener Text!
Er klingt ehrlich … und so sehr ich jedes Wort nachvollziehen und verstehen kann, reicht mMn, zu erkennen, dass dieses kleine Menschenkind mit all seinen Emotionen, seiner Neugier und seinem unbändigen Verlangen nach Erfahrungen, schon perfekt und vollständig ist.
Solange wir dieses Wesen mit ehrlicher Liebe und RESPEKT begegnen, braucht es für keine Situation einen Erziehungsstil, Ratschlag oder eine Rechtfertigung. Es ist wirklich einfach – man wird intuitiv das Richtige tun… wenn man sein Gegenüber ernst nimmt. Unsere Pflicht besteht darin Vorbild zu sein und es vor Gefahren zu schützen.
Liebe Grüße
Ich verstehe nicht so ganz, warum du in deinem Artikel so über das ERZIEHEN wetterst. Denn das was du tust ist doch ebenso eine Art der Erziehung. Ich sage, dass ich meine Kinder erziehe. Aber ich würde sagen, dass ich an deiner Methode recht nah dran bin.
Jetzt ist deine Tochter noch recht klein. Meine sind jetzt schon Vorschulkind und Schulkind. Da muss man stellenweise einschreiten. Nicht mit Gewalt. Aber man muss erläutern, warum man dies und jenes nicht tut. Dass das Zimmer aufgeräumt werden muss. Dass man nicht alles haben kann. Dass es das jetzt nich sofort gibt. „Ich will aber jetzt ein Eis!“ und das mit Aufstampfen und bitterbösem Blick von einer 5-Jährigen vorgetragen. Und wenn dann noch ein „Du bist blöd!“ hinterherkommt. Ganz ehrlich, da bin ich konsequent: es gibt kein Eis! Und das muss ich zu dem Zeitpunkt nicht einmal begründen. Denn wer sich so aufführt, bekommt nix. Ist das jetzt in deinen Augen falsch?
Würde mich mal interessieren.
LG, Tina
Hallo Tina. Erstmal Danke für deine Rückmeldung. Über die Frage, ob das nicht auch eine Form von Eruiehung ist habe ich in diversen weiteren Beiträgen differenzierter geschrieben- Das hier war ja einer meiner ersten. Ich lade dich gerne ein, dich da nochmal umzuschauen. – Erziezungsfreiheit widerspricht sich für mich nicht damit, an gewissen Stellen Nein zu sagen oder ein Stop zu setzen oder eigene Werte und Grundsätze zu vernitteln. Es geht ja um das WIE. Eben gewaltfrei und auf Augenhöhe, statt durch Erziehungsmechanismen, die eine Macht über das Kind ausspielen. Zu deinem Beispiel mit dem Eis und einem anschließenden „du bist blöd“: ICH fände es tatsächlich falsch, darauf mit einer Strafe (deswegen erst recht kein Eis) zu reagieren. Ich würde meinem Kind erklären, dass es mich verletzt, wenn sie das sagt (wenn das so ist), ihr aber auch sagen, dass ich verstehe, dass sie damit ihren Frust ausdrückt (denn darum geht es ja). Miteinander kommunizieren halt, anstatt uns da in einen Machtkampf zu begeben. Ob es ein Eis gibt oder nicht, hängt eher von anderen Faktoren (zb der Möglichkeit eins zu kaufen ab), was ich unabhängig davon erklären und ggf ihren Frust begleiten würde. Ich hoffe, du konntest einen kleinen Einblick gewinnen. Viele Grüße, Fiona
Hallo unverbogenkindsein,
prinzipiell finde ich die Darstellung eurer Methode des Umgangs mit eurem Kind gut. Du schreibst eigentlich nur deine bisherigen Erfahrungen mit deiner Art, das Kind beim größer werden zu begleiten, auf. Das schonmal vorweg, finde ich gut. Ich möchte dir hier auch einfach mal was schreiben:
Allen Leuten die sagen, es sei auch eine Art der Erziehung (die es vermutlich wie Sand am Meer gibt) kannst du folgendes sagen: Erziehung ist selbsterklärend – das Kind wird in die richtung „gezogen“, in die es die Eltern haben wollen. Welche Richtung das ist, hängt natürlich von Tausenden Faktoren und Gegebenheiten ab. Generell ist es aber immer ein Ziehen und Schieben, es gibt nur Wenig oder kein Miteinander. Deswegen hier meine Definition:
Er ziehen – „Er“ zieht das Kind in eine Richtung. (Für die Feministinnen gibt es wahrscheinlich bald das Wort Sieziehung ;))
Es müsste aber eine „Wirziehung“ sein, in der ALLE Beteiligten eingeschlossen werden. Sowohl das Jüngste Kind, die Schwester, der Bruder, und der Hund.
Du Sprichst von Fundament, 4 Wänden und einem Dach – ich sehe da eher das komplette Grundstück. Es gibt einen Zaun, ja – aber das Haus ist auch nur ein Teil des Grundstücks. Der sichere Hafen. Der Rückzugsort. Das Warme Gefühl wenn man daran denkt. Allerdings gibt es eben auch noch einen Garten, einen Hof und eine Garage, mit sehr vielen unvorhersehbaren Faktoren – der Fall ist in meinen Augen also komplexer als du ihm beschreibst. Es kann auch sein, dass dein Kind mal im Nachbar-Garten im sitzt. Das ist auch gut so – es muss nur wissen, das die Tür vom Haus immer offen steht, und es mit allen Problemen wieder heim kommen kann – und wenn es dazu erstmal nur im eigenen Garten ein Zelt aufschlägt 🙂
Ich finde es dennoch unnötig, irgendwelche blöden Namen dafür zu suchen – selbstbestimmt, AP, Unerzogen… Das ist einfach nur wieder eine bescheuerte Modeerscheinung. Wenn es für alle Arten mit einem Kind umzugehen Namen geben würde, müsste jede Familie einen eigenen Erfinden. Man kann immer bloß für seine Familie das beste machen – und es gibt immer welche die genau das verurteilen, was man an seiner Art des Umgangs am besten findet.
Sorry für den langen Text 🙂
Hallo Felix
Das Haus habe ich als Metapher gewählt, einfach weil es den gedanklichen ‚Aufbau‘ unserer Haltung mMn greifbar visualisiert. Natürlich stehen die Türen offen. Mein Kind kann sich frei bewegen und äußere Einflüsse sind nicht ausgeschlossen. – ich danke dir für deine Gedankengänge. Die Definition von Erziehung, die ich verwende ist jene der unerzogen Sichtweise und kann unter anderem bei K.R.Ä.T.Z.A. nochmal nachgelesen werden. Letztendlich ist ‚unerzogen‘ tatsächlich aber auch nur ein Wort, da gebe ich dir Recht. Wichtig ist der gelebte Alltag unserer Kinder. Jeden Tag.
Grüße, Fiona
Pingback: Mein Kind ist Mensch wie du und ich - Kinderbilden
Wow, jetzt habe ich mich doch (fast) durch deinen langen Artikel gelesen.
Ich muss sagen (vielleicht auch weil ich frühkindliche Bildung und ERZIEHUNG studiere) am Anfang konnte ich mit „keiner Erziehung“ nicht wirklich was anfangen. Ich bin mir auch nicht sicher, ob ich es jetzt, nachdem ich deinen Artikel gelesen habe, als „keine Erziehung“ sehe.
Aber viele deiner Gedanken kann ich nachvollziehen, sehe ich genauso und setzte sie auch so (Achtung paradox 😉 ) in der Erziehung meiner Tochter um.
Gerade diese unbegründeten und daher unerklärten Verbot… AAAHH
Ich glaube, dass es furchtbar schwer ist, Erziehung irgendwie einzugrenzen, weil es eben nicht DIE Erziehung gibt. Jeder versteht vermutlich etwas anderes darunter.
Auch wenn ich mich also gut mit dem Begriff Erziehung arrangieren kann und du genügend Gründe genannt hast, dich von ihm zu distanzieren, sind wir uns umsetzungstechnisch offensichlich sehr nahe.
Ich werde bestimmt auch in Zukunft mal wieder gerne reinschauen…
Liebe Grüße
Kathrin
Ich danke dir und freue mich, dass du dich herverirrt hast 🙂
Erziehung im unerzogen Kontext ist ein klar definierter Handlungsrahmen. Das ist auch der Grund, der zu so vielen Missverständnissen führt und warum ich den Begriff eigentlich ehrlich nicht mag. Dass was du als Erziehung darüberhinaus betrachtest, dass nenne ich Begleitung. Vermutlich sind wir uns also wirklich gar nicht unähnlich. Am Ende ist es doch aber egal, WIE wir es nennen. Hauptsache unsere Kinder wachsen gewaltfrei auf.
Viele Grüße <3