Erziehungsfrei

Verbinden statt Verbieten: Warum Verbote in der Erziehung deinem Kind nicht helfen

Wie geht Erziehungsfrei? Überall liest du darüber. Erziehung ist verschrien. Du sollst nicht mehr bestrafen, nicht loben, und dein Kind soll, was es kann, selbstbestimmen. Aber die Verantwortung soll bei dir bleiben. Erziehungsfrei heißt nämlich nicht Regellosigkeit, das hast du mittlerweile verstanden. In der Theorie klingt das ganz nett, findest du. Aber was passiert denn nun, wenn Kind und Regeln aneinandergeraten? Da steht zum Beispiel diese Statue mit dem fetten Schild „klettern verboten!“ vorne dran gepappt; und dein Kind will natürlich da rauf. Sofort. Geht nicht. Es brüllt. Du denkst nach. Zeit für Verbote in der Erziehung. Aber was machen jetzt diese Erziehungsfreien?

Gute Frage. Ich habe über eine gute Antwort eine Weile nachgedacht.

Schon die Möglichkeit Verbote auszusprechen und durchzusetzen, ohne das das Kind im Zweifel dagegen ankommt, demonstriert das Machtgefälle, in dem Eltern und (kleine) Kinder sich befinden, erschreckend eindrucksvoll. Wenn ich nicht will, kann mein Kind nichts dagegen ausrichten. Im Laufe der Zeit verringert sich dieses Gefälle, aber besonders in den ersten Jahren sind unsere Kinder, wenn wir es darauf anlegen, uns gegenüber vollkommen machtlos.

In denselben ersten Jahren, in denen wir auch den Grundstein ihrer (Selbst)Wahrnehmung am stärksten beeinflussen.

Wichtig also uns über unsere elterliche Macht bewusst zu sein. HIER habe ich schon vor längerer Zeit über das Loslösen von erzieherischen Denkmustern geschrieben: Statt die Einfälle unserer Kinder allgemeingültig in die Kategorien dürfen/ nicht dürfen einzuordnen, fragen wir uns besser situativ, was sie (nicht) können.

Verbote in der Erziehung – Warum Verbote NICHT wirkungsvoll sind

Nein, ich kann mein Kind nicht immer machen lassen, was es will. Es gibt Situationen, in denen ich als Elter eingreifen will. Etwa um mein Kind, mich, oder Grenzen Dritter zu beschützen. Aber ich verbiete nicht. – Ich begleite!

Lichtblick statt Verbote: Eltern sollen der Ausweg aus der Wut sein.
Wenn Wut kommt, sollten Eltern für ihre Kinder das Licht sein, nicht die Mauer

Der Unterschied liegt in der Haltung zum Kind und meinem Verhältnis zu meinem Kind.

Verbote für sich wirken nur bedingt. Das zeigen uns nicht nur die Kleinsten, die ein „das darfst du nicht“ und vorgetragene Erklärungen unbeeindruckt zur Kenntnis nehmen und trotzdem erstmal weitermachen, sondern auch alle anderen: Vom Schwarzfahrer bis zum Raser, demjenigen, der auf der „Betreten Verboten“ Wiese die Picknickdecke ausbreitet, bis hin zum Spickzettel im Block versteckenden Studenten.

Verbote funktionieren, wenn sie funktionieren, immer nur gekoppelt an eine negative Folge.

Und diese Folge muss abschreckend genug sein, dass es das Risiko nicht wert ist. Bußgelder jedenfalls halten nur eher wenige Leute ab, einen Haufen Verbote zu übergehen. Und „Wenn du das machst, gibt’s gleich kein Eis“ zieht irgendwann halt auch nicht mehr.

Hinzu kommt, was wir alle wissen: Verbote üben einen unheimlichen Reiz aus.

Wollen wir etwas wirklich, nehmen wir negative Folgen im Zweifel in Kauf. Wenn Verbote und Erziehung Kindern auf lange Sicht also eins effektiv lehren, dann ist das wohl Risikoabwägung.

Sprechen Eltern ein Verbot aus, sei es aus gut nachvollziehbarem Grund, versteckt sich dahinter in den meisten Fällen auch eine Drohung: Hörst du nicht auf das Verbot, passiert etwas Negatives! Wir haben hier also gleich mehrere Gewaltmomente. Die willkürliche Fremdbestimmung als Übergriff und die Androhung einer Strafe. Wenn Kinder einem Verbot gehorchen, dann passiert das in aller Regel aus Angst vor der Konsequenz. Das gilt besonders für kleine Kinder, die eine Erklärung noch nicht nachvollziehen können – Würde die Erklärung alleine reichen, bräuchte es ja keine Drohungen.

Wirklich: Entgegen alles Behauptungen, kleine Kinder verstehen in dem meisten Fällen echt noch nicht, warum eine Regel da ist oder warum etwas Bestimmtes gerade nicht geht oder nicht anders geht.

Ein Verbot gekoppelt an eine Drohung, wie es für Erziehung (und andere Machtverhältnisse) typisch ist, setzt uns in die Position des Machtausübenden, gegen den sich unser Kind nicht wehren kann.

Mein Kind steht auf der anderen Seite als ich und ist machtlos.

Mal abgesehen von Regelungen, die Leib, Leben und persönliche Grenzen schützen, sind viele Verbote, die gerade Kindern ausgesprochen werden, letztendlich auch willkürlich. Und wenn ich manche Situationen beobachte, in denen selbst ich mich frage, warum ein Kind etwas nicht darf, denke ich, geht es nicht selten auch um Machtdemonstration. Es ist dann einfach so, weil das Elter es sagt, weil das Kind gehorchen lernen soll. Das merken Kindern oft spätestens dann, wenn jemand etwas darf, was sie selber nicht dürfen. Die negative Konsequenz, die angedroht wird, ist dann häufig die einzige Kommunikation, die statt findet, was verständlicherweise auch wieder nicht sehr befriedigend ist. Statt, dass das Kind gehorcht, kommt es folglich zu Wut, zu Tränen und einem vermeidbaren(!) Machtkampf.

Verbote in der Erziehung engen ein
Freie Kindheit? Häufig werden Kinder Von Verboten in der Erziehung eingeengt.

Zuallererst sollten wir also überlegen, welche Regeln überhaupt sinnvoll sind. Was WIR (nicht) wollen, und nicht, was irgendein MAN in unseren Gedanken vielleicht nicht wollen würde. Das geht nur individuell.

Ich bin da! Was bleibt, wenn Eltern aus dem Kampf Aussteigen

In der Utopie einer immerglücklichen Kindheit trauen wir unseren Kindern zu, stets richtig zu entscheiden, lassen ihre Einfälle zu, und sehen sie froh und kreativ aufwachsen. Sie streunen durch die Welt, sind wild, und im richtigen Moment zurückhaltend. Wir leben aber nicht in einer Utopie und nicht jede Situation läuft harmoniefein ab. Selbst wenn ich das „klettern verboten!“ Schild an der Statue genauso beknackt finde, wie offensichtlich auch mein Kind, hängt es da jetzt nun mal und ich WILL diesen Hinweis nicht übergehen. Selbst wenn es mich nicht stören sollte, wenn N beim enthusiastischen buddeln im Sandkasten mich mit Sand überschüttet, ist es meine(!) Verantwortung Rücksicht auf Hänschen und Lieschen zu nehmen, die eben nicht vom Sand getroffen werden wollen. Ich habe im Blick, was mein Kind noch nicht überblicken kann.

Vielleicht interessiert Dich auch: Nicht erziehen und trotzdem NEIN sagen. Geht das?


Werbung

*Es handelt sich um Affiliatelinks. Bei einem Kauf erhalte ich eine kleine Provision

Ich bin da.

Ja natürlich. Es gibt sie immer wieder, diese Situationen, in denen mein Kind etwas nicht tun KANN; in denen ich (be)schützen und Verantwortung tragen WILL. Meine unerzogene Haltung ändert nichts daran, dass zB. Rücksicht MIR ein wichtiger Wert ist. Es gibt also Situationen, in denen sage ich NEIN.

Ich kann Nein sagen und mit meinem Kind auf einer Seite stehen bleiben, statt mich über sie gemein zu erheben.

So weit, so gut. Ich verneine, als N die Statue beklettern will. Mein Kind will trotzdem und wütet und stampft. Und ich stehe angespannt daneben. Was tun? Nicht Drohen. Nicht Bestrafen. Nicht Schimpfen. Auch nicht Kleinmachen und Ablenken, als wäre nichts passiert, und der Gefühlsausbruch gar unwichtig

Was bleibt Erziehungsfrei lebenden Eltern, wenn sie ihre Kinder nicht machen lassen wollen? Muss ich am Ende also doch verbieten, weil es gar nicht anders geht?

Verbinden statt Verbieten – Eine Alternative zu Verboten in der Erziehung

Was bleibt, ist (Ver)Bindung.

Manchmal kann ich nicht machen lassen. Denn das will Erziehungsfrei überhaupt nicht. Manchmal WILL ich eingreifen, N von irgendetwas abhalten, ein Stop setzen. Manchmal WILL ich Grenzen schützen, Rücksicht nehmen und sage dann Nein. Gibt es also doch Verbote bei uns? Von außen betrachtet vermutlich schon. Von innen betrachtet – und da geht es um die Haltung! – nicht. Ich schütze und begleite, anstatt zu verbieten. Der Unterschied liegt für mich in der 1) Kommunikation und 2) der Zuwendung.

Verbote sind trennende, das Machtverhältnis eindeutig divergierende, Handlungen, die zudem in der Regel mit einem Gewaltmoment (Drohen/ Schimpfen) zusammenfallen. Verbote bauen so eine Distanz auf, die der BEZiehung schadet. Verbieten setzt mich als Mama in eine Position, in der ich bestimme und durch die erzieherische Haltung ausdrücke, „Du musst gehorchen und es ist gerade nicht wichtig, wie es dir damit geht.“ Oft fallen auch wenig empathische Sätze, wie, „Du brauchst jetzt gar nicht so zu schreien!“

Begleitung – auch, wenn wir ein Nein vor unserem Kind vertreten – übernimmt Verantwortung und bleibt zugewandt. Gefühle werden verbalisiert und ernstgenommen.

Lies auch: Ich will aber! Zugewandt bleiben beim Wutanfall – wertvolle Tipps zur Frustbegleitung

Da stehen wir also jetzt vor dieser Statue mit dem „klettern verboten!“ Schild. Mein Kind wütet. Sie haut frustriert nach mir, was ich mit der Hand abfange und mich zu ihr runter knie. „Ich will dich da nicht klettern lassen. Das macht dich wütend, verstehe ich. Da könntest du so toll rauf. Und der, der das hierher gestellt hat, will das nicht. Findest du das gerade blöd? Was können wir jetzt tun?“ Statt Distanz baue ich eine Verbindung zu meinem Kind auf, gehe auf Augenhöhe und stelle mich an ihre Seite. Ich spreche achtsam, höre zu und nehme ihren Wunsch/ ihr Bedürfnis ernst. Ich kann Verständnis entgegenbringen, durch Frust helfen und beim Nein bleiben. In irgendeinem Social Media Kommentar beschrieb eine Mama diese Situation in etwa so: „Auch wenn wir einen Konflikt haben, ich schaue mein Kind immer mit liebevollem Blick an und bin bei ihm*ihr“. Und das trifft es, finde ich, sehr gut. Als die Wut vergeht, stürzt mein Kind schluchzend in meine Arme. Wir einigen uns darauf, etwas zum Beklettern zu suchen.

Der Schlüssel liegt darin, eine Verbindung zum Kind aufzubauen, auf einer Seite zu stehen und eine Lösung zu suchen. Selbst wenn wir keine Lösung finden, spürt das Kind unsere Zuwendung, statt Ablehnung.

Wie du deine Grenzen schützt ohne auf Verbote in der Erziehung zu setzen. Der Schlüssel ist eure Bindung #beziehungsstatterziehung

Es ist (gerade) aus erzieherischer Perspektive vielleicht ein kaum erkennbarer Unterschied, so einer bei dem Dutzende kommentieren werden, „du verbietest ja doch, nur eben anders“. Aber in der Haltung, in dem, was Erziehungsfrei ausmacht, ist der Unterschied gigantisch. Es ist die veränderte Einstellung zu meinem Kind, zum Verhältnis zwischen uns. Es ist der bewusste Einsatz von Macht, ohne meine Macht zu missbrauchen. Ein zusammen auf derselben Seite diese Gefühle durchstehen, statt verbieten. Verantwortung übernehmen für den Frust, den mein Nein auslöst, statt Gehorsam fordern. Verbindung statt Trennung. Und ein riesen Unterschied, ja vielleicht der wichtigste Unterschied, darin, wie das Kind die Situation und SICH SELBST wahrnimmt. Ernstgenommen statt kleingemacht. Aufgefangen statt abgelehnt. Verbunden statt (gerade) ungeliebt. Verbote als Teil von Erziehung trennen. Begleitung verbindet.

Deswegen, begleitet eure Kinder durch ihre Gefühle, sprecht achtsam mit ihnen, seid da.

| Fiona

Du findest diesen Beitrag hilfreich? Teile ihn, hinterlasse einen Kommentar und diskutiere mit

Ein Gedanke zu „Verbinden statt Verbieten: Warum Verbote in der Erziehung deinem Kind nicht helfen

  • Hallo Fiona.

    Vielen Dank für diesen Artikel.
    Ich finde es auch immer sinnvoll wenn man Verbote versucht zu umgehen oder zumindest auf ein Minimum zu beschränken.
    Ich denke Kinder verstehen ein Verbot auch zu einem gewissen Teil als Zurückweisung und gerade in jungen Jahren kann das auch an der Psyche eines Kindes nagen.

    Denn etwas nicht tun zu dürfen dessen Sinn ich nicht verstehe, fühlt sich doch an wie eine geringere Schätzung. Das kennen auch wir Erwachsene und wie soll es dann erst für insbesondere kleine Kinder sein.

    Ich wünsche dir weiterhin viel Glück mit deiner Seite und hoffe weiterhin auf so tolle Artikel. Bringt mir persönlich Momenten immer wieder Inspirationen für meine eigene Seite.

    Lieben Gruß

    Jan

    Antwort

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert